Briefwechsel-Helius Eobanus Hessus

Aus Joachim Camerarius (1500-1574)
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Allgemein zum Briefwechsel

Für Camerarius ist es typisch, dass er schriftlich mit Briefpartnern kommuniziert, die sich andernorts aufhalten. Das passt auch mit seiner Praxis zusammen, wichtige Dinge eher nicht dem Papier anzuvertrauen, sondern mündlich zu erledigen. Wissenschaftliche Themen werden in seinen Briefen sowieso ausgespart. Allgemeine Neuigkeiten muss er vor Ort nicht schreiben, da sie sich schnell verbreiten, und Zeitenklage kann er auch persönlich vorbringen. Man kann das schön sehen an den mit Baumgartner gewechselten Briefen: während der gemeinsamen Jahre in Nürnberg gab es keinen Briefwechsel (jedenfalls keinen, der als druckenswert erachtet wurde), sondern dieser beginnt erst mit C.‘ Übersiedelung nach Tübingen bzw. Leipzig. Die Briefe des Hessus sind anders gestaltet. Oft beinhalten sie eine Einladung zum Essen, häufig in Gedichtform, auch einige Rätselgedichte sind darunter.[1] Wenn er von einem anderen Ort schreibt, nutzt er Briefe als Begleitschreiben für seine literarischen Werke, die er zur Korrektur an C. schickt. Entsprechend blieb eine große Anzahl von Briefen des Hessus erhalten, die aus gemeinsam verbrachten Zeiten stammen, wohl überwiegend aus der Nürnberger Zeit (1526–1533). Auf ihnen ist in der Regel kein Datum verzeichnet.

Verhältnis der Briefpartner

Im Rückblick betrachtet C. seinen Freund Hessus als princeps unter seinen Freunden (siehe OCEp 0347).[2] Der inzwischen 68-Jährige betonte die Dauer einer Freundschaft, die maximal 22 Jahre (1518 bis 1540) gedauert hatte, von denen beide weniger als die Hälfte (1518–21 und 1526–33) am selben Ort verbracht hatten. In den wenigen Briefen, die aus gemeinsamen Erfurter Jahren (1518–1521) erhalten sind, zeigt sich entsprechend ein Hierarchiegefälle: Auf der einen Seite der hochgeehrte Dichter Hessus, auf der anderen der aufstrebende junge Gelehrte.[3] Schon damals aber muss sich die Freundschaft herausgebildet haben.[4] Das wird auch deutlich durch die Aufforderung an C., H. als Gleichrangigen anzusprechen.[5] Wenn H. Befehle gegenüber C. erteilt,[6] ist das kein Ausdruck einer echten Hierarchie, sondern einer humanistischen Spielerei, bei der H. sich als König (der Dichter) aufführte.[7] Problematisch ist, dass viele Briefe überhaupt nicht datiert sind. Über die Postulierung einer aymmetrischen Beziehung in Erfurter Zeiten, die in Nürnberg zu einer Freundschaft auf Augenhöhe wurde, wurden viele der undatierten Briefe in diese oder jene Epoche datiert. Dieses Vorgehen birgt aber einige Risiken. In Nürnberg war C. als Schulleiter des Egidiengymnasiums zwar der Vorgesetzte von Hessus, doch scheint das ihre Freundschaft nicht zu beeinflussen.

Gemeinsame Erfurter Zeit 1518–1521

Hessus war der Star der Erfurter Humanistenszene, als Camerarius 1518 in die Stadt kam. Der „König“, wie er sich nennen ließ, war bestens vernetzt, hatte und Reuchlin persönlich kennengelernt und war ein berühmter Dichter, der auch (letztlich erfolglos) nach der Dichterkrone strebte.[8] Seine lateinischen Dichtungen, die sich nicht auf bloße Nachahmung antiker Vorbilder beschränkten, verschafften ihm Geltung auch über Fachkreise hinaus. Der Kreis um Hessus umfasste auch den Altmeister Conradus Mutianus Rufus, Crotus Rubianus, Euricius Cordus und Adam Krafft, der Hessus um 18 Jahre überlebte und dem C. die Hessus-Biographie widmete. Auch Leonhard Crispinus, Widmungsempfänger der Briefedition 1561, gehört wohl zu diesem Kreis: Darunter waren hessische Landeskinder, die in Erfurt studierten und von denen einige anschließend wieder nach Hessen gingen, um dort theologisch oder humanistisch tätig zu werden.

Wanderjahre des Camerarius

Während C. 1521 an die Universität (Wittenberg) wechselte, sich hin und wieder in Bamberg aufhielt und Reisen nach Bretten und Basel (1524) sowie Preußen (Herbst 1525) einschob, blieb Hessus in Erfurt und fristete dort sein bescheidenes Humanistendasein. Sein einst blühender Zirkel verblühte ebenso wie seine Universität, weil viele seiner einstigen Getreuen Erfurt verließen.[9] Mit Johann Lange (Theologe) entzweite er sich,[10] als einziger Freund blieb ihm Georg Sturtz, der sich jedoch oft in Annaberg aufhielt. Aus dieser Zeit stammen die Briefe OCEp 0352, OCEp 0353, OCEp 0354 und ein Nachruf auf Nesen. Durch wirtschaftliche Not gedrängt, wandte der Dichter sich sogar dem Studium der Medizin zu, jedoch nicht für lange, denn mit der Gründung der Nürnberger Hohen Schule bot sich ihm eine verlockende neue Perspektive.

Nürnberger Jahre 1526–1533

Das "Egidiengymnasium"

Im Jahr 1526 wurde in Nürnberg, auf Betreiben Hieronymus Baumgartner d.Ä. und unter tatkräftiger Unterstützung Philipp Melanchthons, das Egidiengymnasium als städtische Schule gegründet.[11] Einige Stationen auf dem Weg dahin können mit Hilfe von Melanchthons Briefwechsel erschlossen werden: Bereits am 31.10.1524 sinniert er in einem Brief[12] darüber, Hessus mit einer Aufgabe zu betrauen, die er selbst nicht übernehmen könne. Aus dem parallelen Brief[13] sowie dem Vorgängerbrief[14] wird deutlich, dass Melanchthons Berufung ans Gymnasium gemeint ist. Die wiederholte Ablehnung seines Rufs in MBW Nr. 357 macht deutlich, dass Baumgartner sich mit der ersten nicht zufriedengegeben hatte. Es ist nicht klar, ob hier schon die Schulleitung thematisiert wird; Camerarius wird in diesem Kontext erst in MBW Nr. 422 (26.9.1525) ins Spiel gebracht. Im Herbst reisten C. und M. nach dem 21.10.[15] für die weiteren Verhandlungen nach Nürnberg, wo sie vor dem 15.11.[16] eintrafen. Danach kehrte C. zunächst nach Bamberg zurück, während M. auf dem Weg nach Wittenberg in Erfurt Station machte. Im Gepäck hatte er einen Brief des Camerarius (OCEp 0007) und ein offizielles Schreiben des Nürnberger Stadtrats. Melanchthons Verhandlungen mit Hessus[17] waren erfolgreich, wie man in MBW Nr. 438.2 und dem Parallelbrief des Hessus[18] an B. sieht: Hessus trat für ein Gehalt von 150 Gulden[19] in den Schuldienst ein und widmete der am 23.5.1526 mit einer Rede Melanchthons eingeweihten Anstalt eine Elegie.[20] Die Berufung Sigmund Gelens als Lehrer gelang nicht;[21] stattdessen wurden Michael Roting und Johannes Schöner als Lehrkräfte gewonnen. Wenig wissen wir über den Hebräischlehrer Johann Böschenstein.[22] Aus der Nürnberger Zeit sind sehr viele Briefe von Hessus an Camerarius erhalten. Die Schule wird darin fast nie erwähnt, sondern wir erleben einen heiteren Austausch von dichterischen Spielereien und wissenschaftlichen Erörterungen. Von geschäftlichen Verrichtungen sprechen OCEp 0066 und OCEp 0067. In der ersten Zeit hatte Hessus noch ein ungetrübtes Verhältnis zu seiner Schule; so ehrte er sie auch durch Elegien. Bald schon aber taten sich erste Wolken am Himmel auf.[23]

Die Spanienreise

C. begab sich im Gefolge des Grafen Albrecht von Mansfeld im Spätjahr 1526 auf eine Reise nach Spanien, bei der er als Lateindolmetscher dienen sollte. Die Reise endete jedoch in Esslingen, wahrscheinlich wegen des dortigen Fürstentags: 18 Fürsten berieten über die Ereignisse in Ungarn (Schlacht von Mohács) und beschlossen, die Gesandtschaft an Karl V. (HRR) nicht abzusenden. Als Begründung gegenüber dem Kaiser wurde angegeben, dass das freie Geleit durch Frankreich nur auf vier Monate begrenzt, diese Zeit aber bereits durch die Vorbereitung verstrichen war. So wurde die Angelegenheit auf den nächsten Reichstag verschoben.[24] Es ist nicht klar, warum C. so kurz nach Beginn seiner Schulleitertätigkeit und vor seiner Eheschließung so begierig darauf war, diese Reise zu unternehmen. In seiner Abwesenheit übertrug er Hessus die Leitung der Schule.[25] H. verabschiedete C. mit dem Brief OCEp 0028. Ein Geleitgedicht (OCEp 0029) war nicht rechtzeitig fertig geworden, so dass er es überarbeitete und dem Zurückgekehrten zusammen mit OCEp 0098 zusandte. Außerdem begrüßte er ihn nach der Rückkehr mit OCEp 0034. Dagegen ist nicht klar, ob OCEp 0030 im Kontext der Spanienreise entstanden ist oder nur eine von vielen Einladungen zum Schachspiel darstellt, die H. in Nürnberg an C. schickte.

Eheglück und Familienpein

Am 7.3.1527 heiratete Camerarius die Nürnbergerin Anna Truchseß von Grünsberg, die mütterlicherseits aus der berühmten Patrizierfamilie der Muffel stammte. Vermittelt wurde die Hochzeit durch den Ratsherrn Christoph Führer.[26] Frau Camerarius tritt in den Briefen immer wieder auf: Oft grüßt sie den Empfänger eines Briefes, und in manchen Einladungsschreiben wird ihre Gegenwart angekündigt. Einige Male hat sie demnach an den Treffen der Sodalität teilgenommen (OCEp 0103). Auch die von ihr zubereiteten Speisen werden bisweilen angesprochen. Doch einmal vermutet H. (im Scherz), Anna sei verantwortlich dafür, dass ihr Mann so selten zu Besuch komme (OCEp 1385). In den fast 50 Ehejahren bis zu Annas Tod 1573 wurden neun Kinder geboren, die alle das Erwachsenenalter erreichten.[27] Zur Hochzeit verfasst H. einige Gedichte, darunter OCEp 1379. Zwei andere Dichtungen gab er in einem Werkverbund (Venus triumphans) heraus, zu dem C. selbst eine Klage an die Liebesgöttin beisteuert.[28] Getrübt wurden die Feierlichkeiten allerdings durch die Verhaftung des Bruders Hieronymus Camerarius am 11.2.1527 auf Veranlassung des Bamberger Bischofs Weigand von Redwitz.[29] In dieser Angelegenheit reiste C. im Juni 1527 nach Donauwörth zum Tag des Schwäbischen Bundes, von dem er sich Unterstützung erhoffte. Unterwegs verfasste C. eine Elegie, die er an Hessus schickte. Gleichzeitig gab dieser sein Epithalamion auf C. in den Druck.[30]

Nürnberger Freundeskreis und Sodalität

Zu den prominentesten Freunden der Briefpartner gehörte der Maler Albrecht Dürer. [31] Im Briefwechsel kommt er aber gar nicht vor. Über seine Beziehung zu den beiden erfahren wir im Fall des C. durch die Einleitung zur Symmetrieschrift, im Fall des Hessus durch dessen Epicedien.[32] Vom berühmten Dürer-Gemälde „Die vier Apostel“ dachte man lange Zeit, es würde Hessus und Camerarius zeigen (neben Melanchthon und Roting). Diese These gilt aber heute als sehr umstritten.[33] Der Ratsherr Hieronymus Baumgartner d.Ä. ist für beide nicht nur als Dienstvorgesetzter sehr wichtig. Wir wissen, dass sein Verhältnis zu seinem Jugendfreund C. sehr gut war;[34] in den eher privat gehaltenen Briefen taucht er allerdings kaum auf.[35] Es ist nicht klar, ob er wegen seiner Position kaum Zeit hatte für geselligen Umgang mit seinen Freunden oder ob er aus Rücksicht auf seine Ämter nicht erwähnt wurde.[36]

Hessus und C. bildeten den Kern eines Gelehrtenzirkels.[37] Wichtige Mitglieder waren der Ratskonsulent Johann Mylius[38] und der Latinist Michael Roting, auch dessen Verwandter Johann Seiler wurde dazu eingeladen sowie der Schulmeister und Musiker Wilhelm „Musicus“ (Breitengraser).[39] Dagegen gibt es keinen Hinweis auf Teilnahme des Lehrerkollegen Johannes Schöner an den Treffen.[40] Häufig traf man sich zu Speis und Trank sowie wissenschaftlichen Diskussionen.[41] Die Zusammenkünfte fanden reihum bei den Mitgliedern statt und die Teilnehmer zahlten ein Kostgeld. Einladungen wurden oft als personalisiertes Briefgedicht versandt, von denen einige erhalten sind. Daraus geht auch hervor, dass zumindest gelegegentlich auch die Ehefrauen partizierten. Bezeichnend für die Lebhaftigkeit der Diskussionen ist der Streit um die Frage, ob nur Cicero als klassischer Autor zu gelten habe oder ob auch Plinius diese Ehre zukomme. Letzteres war die Position des Hessus. Der Streit eskalierte derart, dass Camerarius die Veranstaltung verließ; in einigen Briefen wird das Problem noch gewälzt.[42] Bei einigen Personen ist nicht klar, ob sie zum Zirkel gehörten, weil sie nur gelegentlich in Briefen erwähnt werden, nämlich Thomas Venatorius oder Sebastian Groß. Daniel Stiebar von Rabeneck war mitunter als auswärtiger Besucher dabei. Für die Bedeutung des Zirkels kann es nicht hoch genug geschätzt werden, dass C. und H. mit vielen Personen aus dem Nürnberger Rat Umgang pflegten.

Nicht nur Freunde vereinten die beiden Briefpartner, sondern auch Gegner: So lieferte sich Hessus einen durchaus polemischen Wettkampf mit dem Nürnberger Privatgelehrten Vincentius Opsopoeus: Dieser hatte sich im Herbst 1526 über H. lustig gemacht, der versehentlich einen siebenhebigen Hexameter geschrieben hatte.[43] In OCEp 0019 reagiert H. sehr heftig auf O.‘ Homerübersetzung, mit deren Qualität er nicht zufrieden ist. Auch C. hat diese offensichtlich ungewöhnlich harsch attackiert. Möglicherweise war O. noch nachtragend, weil er nicht ans Egidiengymnasium berufen worden war (vgl. MBW 494.3), dagegen wird aber in MBW 488.3 deutlich, dass er daran gar nicht interessiert war. Aus OCEp 0892 wird ersichtlich, dass C. Streit mit O. hatte, der aber beigelegt werden konnte. Auch H. ließ sich wieder mit O. versöhnen und widmete ihm eine seiner "Sylven".[44]

Theokritedition und gemeinsame literarische Projekte

Das Verhältnis zwischen H. und C. in dieser Zeit schildert C. rückblickend in seiner Narratio de Helio Eobano Hesso[45]: Der eine hätte ohne den anderen keine wissenschaftliche Arbeit begonnen. In diese Zeit fallen daher einige wichtige literarische Kooperationen, wobei der Übersetzung des Theokrit besonders große Aufmerksamkeit zukommt.[46] Sie nimmt einen weiten Raum in der Korrespondenz der Nürnberger Zeit ein. Hessus pflegte einzelne Idylle in lateinische Verse zu übertragen und dann an C. zur Korrektur zu senden. So beschreibt H. im Widmungsbrief seinen Freund mit den Worten, er sei sein Studiengefährte und ihm an Begabung ebenbürtig.[47] Die Widmung richtete sich an den Ratsherrn Hieronymus Ebner. Dieser war von 1524 bis zu seinem Tod 1532 Erster Losunger der Stadt Nürnberg.[48] Seine klassische Bildung ist nicht zu bezweifeln, denn er studierte in Ingolstadt und verfasste selbst ein lateinisches Epigramm für die Edition.[49] Auch der Förderer Hieronymus Baumgartner d.Ä. bekommt von Hessus ein Gedicht gewidmet, das sich um die Theokrit-Übersetzung dreht.[50] In der Theokrit-Ausgabe wird auch die Zusammenarbeit von H. und C. beschrieben, auch rechtfertigt H. sich für die Verzögerung der Fertigstellung. Der Druck erfolgte erst im November 1530: Sicher spielten die zeitgeschichtlichen Ereignisse dabei eine Rolle. So waren Hessus und Camerarius beide (allerdings nicht gleichzeitig) auf dem Reichstag in Augsburg, wobei C. für Melanchthon wichtige Dienste leistete.[51] Eine Art Protreptikon bildet OCEp 0056, worin H. die Unterstützung seines Freundes erbittet.

C. erledigte die Aufgabe des Korrekturlesens allerdings nicht immer im von Hessus gewünschten Tempo, was letzteren häufiger zur Eile mahnen ließ, wie in OCEp 0075 und OCEp 1380. Entsprechend seiner genialischen und ungeduldigen Natur scheint es Hessus schwergefallen zu sein, längere Zeit konzentriert an einem Werk zu arbeiten, was C. zu mancherlei List greifen ließ, wie er in der Biographie selbst zugibt.[52]

Mehr als 20 Briefe befassen sich mit dieser Thematik, was deren Bedeutung für die Freundschaft der beiden Briefpartner aufzeigt. Diese weitgehend undatierten Briefe in eine relative Reihenfolge zu bringen, stellt ein Desiderat der Forschung dar. Ein Problem der Zuordnung ist, dass zwar häufig Titel von konkreten Idyllen genannt werden, es sich aber auch um Partes pro toto für die Dichtungen allgemein handeln kann. OCEp 0056 und OCEp 0017 scheinen den Beginn der Editions- bzw. Übersetzungstätigkeit zu bilden. Auch die Endphase des Projekts lässt sich relativ sicher bestimmen: In OCEp 1384 bittet Hessus um Korrektur und OCEp 0059 behandelt Widmungsfragen, entstand also wahrscheinlich kurz vor der Drucklegung. In OCEp 0305 schickt Hessus einen unfertigen (investem) Theokrit an C.: Die Arbeit ist also weit fortgeschritten, aber noch nicht abgeschlossen. Allgemein zu Theokrit, aber nicht bestimmten Gedichten oder Phasen des Entstehungsprozesses zuzuordnen sind die Briefe OCEp 0021 und OCEp 0061. Bei OCEp 0060 und OCEp 0052 geht es auch um Fragen der Widmung, wobei nicht eindeutig ist, ob es um Theokrit oder Hessus‘ eigene Idylle geht. Diese Entscheidung fällt auch in OCEp 0064 schwer. OCEp 0063 scheint sich auf beide Werke zu beziehen, wobei die Hessus-Idylle wohl schon fertig sind, da C. das Widmungsgedicht bereits gelesen hat, und das dritte Theokrit-Idyll (Comastes) ebenfalls.

Eine gemeinsame Epicedien-Ausgabe, wohl von H. verantwortet, wirft ein Licht auf den gemeinsamen Freundeskreis: Von beiden Dichtern besungene Verstorbene[53] sind u.a. Albrecht Dürer, Caspar Nützel I.,[54] Wilhelm Nesen, Willibald Pirckheimer, Mutian und Reuchlin. Relevant war auch der Ratsschreiber Lazarus Spengler,[55] der sie – zusammen mit Hieronymus Baumgartner – auch politisch unterstützte. C. war für H. ein Ratgeber in vielen Fragen, so bei der Auswahl von Widmungsempfängern.[56] In OCEp 1411 kommt diese Ehre Camerarius gar selbst zu: Hessus widmet ihm ein ganzes Buch seiner Sylvae.

Zeit der Trennung

1533 verließ Hessus die Stadt Nürnberg, in der er nie richtig zurechtgekommen war.[57] Er ging zunächst zurück nach Erfurt und ab 1536 nach Marburg in den Dienst des Landgrafen Philipp I. (Hessen). Das hier entstehende Spätwerk des Hessus wurde auch von C. begleitet: Er begutachtete und korrigierte Übersetzungen und Editionen, die Hessus erstellt hatte, zu den Werken "Colluthus" (Raub der Helena) und "Clipeus".[58] Auch nachdem Camerarius 1535 nach Tübingen übergesiedelt war, setzte er den Austausch mit seinem Freund fort. Die Briefe aus dieser Zeit sind datiert bzw. datierbar, (überwiegend) in Prosa verfasst und behandeln viel konkretere Themen als die der Nürnberger Zeit. So geht es neben der Hilfe bei Editionsprojekten auch um Ratschläge bei Entscheidungen, z.B. die Diskussion, ob C. nach dem Tod Georg Hoppels dessen Nürnberger Stadtschreiberstelle annehmen solle.[59] Entsprechend fehlt den Hessus-Briefen auch der unbeschwerte Charakter früherer Zeiten. Neben der Notwendigkeit, die Briefe als Informationsträger zu verwenden, spielt möglicherweise auch die Verschlechterung des Gesundheitszustands des Dichters eine Rolle.[60] Dagegen berichtet OCEp 0121 von einer guten Gesundheit. Camerarius äußerte seine Kritik an Werken des Hessus durchaus zurückhaltender, als gut gewesen wäre. Die Übersetzung des "Colluthus" ist ein schönes Beispiel dafür: H. hatte den sprachlichen Wert dieses Stücks viel zu hoch angesetzt.[61] Die Frequenz der Briefe nimmt in dieser Zeit ab, dafür steigt der Informationsgehalt. Wir finden Entschuldigungen für seltenes Schreiben,[62] aber auch Vorwürfe: So behauptet Hessus in OCEp 0120, Camerarius habe ihm Säumigkeit vorgehalten. Ein entsprechendes Schreiben C.' liegt aber nicht mehr vor: Da der letzte Brief von C. an H. OCEp 0180 vom 14.3.1537 ist, weist dies auf mindestens einen verlorenen Brief hin. Ebenso hatte C. jeweils vor OCEp 0121 und OCEp 0122 an Hessus geschrieben.

Die Freunde sollten, ihren Hoffnungen zum Trotz,[63] einander nicht mehr zu Gesicht bekommen. Der Wert ihrer Freundschaft zeigt sich aber an der literarischen Produktion, die Camerarius dem Dichter postum zukommen ließ.

Nachleben der Freundschaft

Hessus war neben Georg von Anhalt und Melanchthon der erste von nur drei Weggefährten des Camerarius, dem dieser eine komplette Buchbiographie widmete.[64] Sie wird durch eine Auswahl an Briefen angereichert, die aus Korrespondenzen zwischen Camerarius und Hessus, aber auch aus anderen Briefwechseln Eobans stammen. In diesem Werkverbund zeichnet er das Bild eines genialen, aber nicht fehlerfreien Dichters. Menschliche Schwächen, etwa sein Hang zum Trunke, kommen ebenso zum Ausdruck wie sprachliche Unzulänglichkeiten im Griechischen. Hier fühlt sich Camerarius der Wahrheit verpflichtet und zeichnet ein naturalistisches Bild.[65]

Den modernen Leser mag überraschen, dass die schulischen Tätigkeiten überhaupt keine Rolle spielen. Daran erkennt man die besondere Schwerpunktsetzung von Humanistenbriefen.[66] Man wird sich Hessus auch nicht als Pädagogen im heutigen Sinne vorstellen dürfen, da er nicht als Vorbild taugt. Die Briefeditionen, neben der "Narratio" auch die Ausgaben von 1557, 1561 und 1568, enthalten aber auch Briefe, die bereits von Hessus selbst (1535) oder von Johannes Draconites (1543) ediert worden waren. Diese mögen nicht immer zu dem Hessus-Bild passen, das C. erreichen wollte.[67] So sammelte dieser eine Anzahl an Briefen des verstorbenen Freundes, andere ließ er sich von gemeinsamen Weggefährten zusenden. Adam Krafft, Georg Sturtz[68] und Leonhard Crispinus waren ihm dabei eine große Hilfe. C. gestaltete seine Briefeditionen solcherart, dass sie Briefe aus H.‘ Freundeskreis enthalten. In der Edition von 1568 kommen allerdings auch Briefpartner dazu, die zu jung waren, um H. noch gekannt zu haben, z.B. Petrus Lotichius Secundus. Viele ihrer enthaltenen Briefe sind gedichtet, was ihre Aufnahme ins Corpus erklären kann.

Ein weiteres Denkmal setzt C. dem Freund auch in aller Öffentlichkeit, nämlich bei der Gedenkrede zum 7. Todestag von Kurfürst Moritz (Sachsen) im Jahr 1560. Hier[69] zitiert er die Verse 15 – 21 aus dem 17. Idyll in der Hessus-Übersetzung und geht kurz auf seinen verstorbenen Freund ein.

(Vinzenz Gottlieb)

Editionen, Literatur und weiterführende Links

Überlieferung und statistische Übersicht

Insgesamt wurden 187 Briefe in die Datenbank aufgenommen. Davon wurden

  • 27 von Camerarius verfasst.
  • 157 an Camerarius geschrieben.

Im Rahmen des Projektes wurden nur die zeitgenössisch (bis ca. 1600) gedruckten Briefe erfasst. Die folgenden statistischen Daten bilden daher nur einen Ausschnitt des ohnehin nicht vollständig überlieferten Briefwechsels ab und dienen somit eher der Orientierung. Um sie aufzurufen, drücken Sie bitte unten auf "Semantic Drilldown".


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  1. Siehe die Schlagworte Einladung, Briefe/Briefgedichte und Rätselgedicht.
  2. Vgl. Camerarius, Epistolae doctorum, 1568, Bl. A3v: Inter omnes autem quod magnifeci et amicos, familiares, necessarios habui illis temporibus, princeps fuit Eobanus Hessus, et sua excellentia, et consuetudinis nostrae diuturnitate.
  3. Die Verehrung für den Dichterfürsten durch den heranwachsenden C. verdeutlicht dieser in der Narratio, Kapitel 11.
  4. Vgl. ebda., Kapitel 2: incredibilis animorum beneuolentia existeret.
  5. OCEp 0090.
  6. Z.B. in OCEp 0013.
  7. Die Bezeichnung stammt von Johannes Reuchlin, der H. in Anlehnung an ein Kallimachos-Zitat (Kallimachos, Hymnus auf Zeus, V. 66: οὔ σε θεῶν ἑσσῆνα πάλοι θέσαν, ἔργα δὲ χειρῶν) als ἑσσῆνα, König, bezeichnete. H. griff dies auf und vergab an seinen Freundeskreis Titel wie in einem Hofstaat: Vgl. Camerarius, Narratio de Helio Eobano Hesso, 1553, Bl. Cr und Burkard/Kühlmann 2003, S. 88f.
  8. Den Lorbeer trug er sogar in seinem Wappen: Vgl. Camerarius, Narratio de Helio Eobano Hesso, 1553, Kapitel 31.
  9. Vgl. Krause 1879, Bd. I, S. 384f.
  10. Vgl. Krause 1879, Bd. I, S. 362–370.
  11. Für einen ersten Überblick dieses Zeitabschnitts vgl. Gindhart/Hamm 2024, S. 12-14.
  12. MBW Nr. 350.
  13. MBW Nr. 348.
  14. MBW Nr. 347.
  15. Vgl. MBW Nr. 428.
  16. Vgl. MBW Nr. 429.
  17. Nach dem 2.12. und vor dem 20.12., vgl. www.aerztebriefe.de/id/00013024 und MBW Nr. 432.
  18. Hessus, Epistolae familiares, 1543, S. 38.
  19. Vgl. MBW Nr. 438.1
  20. Vgl. Krause 1879, Bd. II, S. 8f.
  21. Vgl. MBW Nr. 474 und MBW Nr. 457.
  22. Vgl. Krause 1879, Bd. II, S. 12.
  23. Vgl. MBW Nr. 494.5.
  24. Vgl. Kurfürsten und Fürsten an Karl V. (wegen der zu Speyer beschlossenen Gesandtschaft) – Esslingen, 1526 Dezember 19. In: Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1525. Der Reichstag zu Speyer 1526. Der Fürstentag zu Esslingen 1526. Bearbeitet von Rosemarie Aulinger. München 2011 (Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe, fünfter/sechster Band), S. 100f. und 955f.
  25. Vgl. OCEp 0008.
  26. Der Termin am 7.3. wird gestützt durch Walter 2024, S. 89f. Vredeveld 2020, S. 211 und Rhein 2024, S. 128 sowie MBW Nr. 527. Die biographischen Notizen der Camerarius-Söhne datieren die Hochzeit dagegen auf den Mai, vgl. Clm 10376.
  27. Vgl. Stammbaum.
  28. Vgl. Vredeveld 2020, S. 211-215, und Walter 2024.
  29. Vgl. Kolde 1911, S. 232–233 und den dort abgedruckten Brief von C. und anderen an Wilhelm Guß von Gussenberg und Gleth.
  30. Vgl. Hessus an Sturtz, 22.06.1527.
  31. Vgl. Huber-Rebenich 2006, S. 78. Eine Übersicht über Hessus‘ Nürnberger Freunde findet sich bei Krause 1879, Bd. II, S. 41–54.
  32. Vgl. Hessus, Epicedia, 1531, Bl. A7r-B4r.
  33. Vgl. Rhein 2024, S. 118.
  34. Siehe Mährle 2024, den Baumgartner-Briefwechsel sowie die Biographie in „De notis numerorum“.
  35. Erwähnungen finden wir nur in OCEp 0092, OCEp 0087, OCEp 0111 und OCEp 0067.
  36. Seine freundschaftliche Unterstützung Eobans wird kurz beschrieben in der Narratio de Helio Eobano Hesso, Bl. C6v und Burkard/Kühlmann 2003, S. 112-115
  37. Literatur zur Sodalität: Narratio de Helio Eobano Hesso, Bl. C6v-C7r, Burkard/Kühlmann 2003, S. 114–117; Gindhart 2017, S. 202–208, Kunkler 2000, S. 114–120; Ludwig 2002a, S. 19–22 und 29–31 (in: Baier 2003).
  38. Mylius war Initiator der Sodalität und auch Gastgeber einiger Treffen: So fand in seinem Garten die Sitzung statt, die in den „Norica“ geschildert wird.
  39. Vgl. Burkard/Kühlmann 2003, S. 158 (Anm. 88) und 161.
  40. Vgl. Gindhart 2017, S. 203, Anm. 19.
  41. Vgl. Heerwagen 1868, S. 6-8.
  42. OCEp 0014, OCEp 0015 und OCEp 0009; vgl. außerdem Krause 1879, Bd. II, S. 37–39.
  43. Vgl. OCEp 0084 und OCEp 0057.
  44. Vgl. Krause 1879, Bd. II, S. 20. In OCEp 0428 kündigt C. sogar einen Besuch mit Hessus in Ansbach bei Opsopoeus an.
  45. Vgl. Narratio de Helio Eobano Hesso, Cap. XXIII.
  46. C. besorgte außerdem eine griechische Ausgabe, in der er Textlücken mit Supplementen füllte. Vgl. dazu Weise 2018. Zur Beschäftigung des Camerarius mit Theokrit vgl. auch Weise 2024, S. 184-186.
  47. Theokrit, Idyllia, 1530/31, Bl. A3r: Hic Ioachimus erat, Camerarius ille meorum Et studii consors, et comes ingenii.
  48. Vgl. Fleischmann 2008, S. 363.
  49. Zur Person vgl. Fleischmann 2008, S. 361–363. Zum Studium vgl. Hieronymus Ebner von Eschenbach (RAG-ID: ngBR9S274AJ07qxzvB4q5ZnE2AE), [1], 31.07.2023. Hessus verfasste Epitaphien auf ihn: Vredeveld 1990, S. 486 – 487 und 490 – 499. Sein Sohn Erasmus Ebner war Schüler Philipp Melanchthons.
  50. Hessus, Sylvae, 1535, Bl. PP3r-PP4r.
  51. Er erstellte das Protokoll bei der Verlesung der Confutatio zur Confessio Augustana: Vgl. Gindhart/Hamm 2024, S. 19f., Peters 2014, Peters 2014a, 226-245 sowie Theologie (CamLex)#Schulleiter in Nürnberg (1526-1535).
  52. Vgl. Narratio de Helio Eobano Hesso, Cap. XXII.
  53. Zu beachten ist, dass es sich nicht nur um Freunde handelt: Nachrufe werden auch auf hochstehende Persönlichkeiten verfasst, die man ehren möchte. Zu Eobans Nachrufen vgl. Krause 1879, Bd. II, S. 50.
  54. Epitaph auf Nützel: OC 0049.
  55. OCEp 0111
  56. Vgl. OCEp 0052, OCEp 0063, OCEp 0059, OCEp 0060.
  57. Zu seinem Weggang vgl. Krause 1879, S. 122-139.
  58. Vgl. OCEp 0105, OCEp 0110, OCEp 0107 und OCEp 0177.
  59. Vgl. Krause 1879, Bd. II, S. 172. Das vertraute Verhältnis zu Hoppel wird auch deutlich im Epitaph des Hessus (Vredeveld 1990, S. 488-491) und im Brief Spenglers OCEp 0433.
  60. Vgl. OCEp 0122 und OCEp 0123.
  61. Vgl. Krause 1879, Bd. II, S. 169-172.
  62. OCEp 0179, OCEp 0121.
  63. Vgl. OCEp 0179.
  64. Weitere Kurzbiographien sind Bestandteil größerer Werke.
  65. Vgl. Stählin 1936, S. 14f.
  66. Es fällt auf, dass auch in der Biographie für Baumgartner das Egidiengymnasium nicht erwähnt wird: Vgl. Mährle 2024, S. 74f.
  67. Vgl. Huber-Rebenich 2001.
  68. Vgl. Burkard 2003, S. 36f. = Narratio de Helio Eobano Hesso, Bl. A5r.
  69. In der Oratio quinta, gehalten von Johannes Schirmer, Camerarius, Orationes funebres, 1569, S. 127.

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